Direkt zum Inhalt

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. August 2024, Az. 5 AZR 266/23 – Gesetzliche Ruhepause – Lage – Vergütung

Posted in Allgemein, and Arbeitsrecht

Leitsatz:

Verlangen betriebliche Erfordernisse eine flexible Festlegung der Pausen, ist der in § 4 Satz 1 ArbZG vorgesehenen Anforderung des „im Voraus fest-stehend“ auch dann genügt, wenn der Arbeitnehmer jedenfalls zu Beginn der Pause weiß, dass und wie lange er nunmehr zum Zwecke der Erholung Pause hat und frei über die Nutzung dieses Zeitraums verfügen kann.

Auszug aus der Entscheidung:

…………

Verlangen betriebliche Erfordernisse eine flexible Festlegung der Pausen, ist der in § 4 Satz 1 ArbZG vorgesehenen Anforderung des „im Voraus feststehend“ auch dann genügt, wenn der Arbeitnehmer jedenfalls zu Beginn der Pause weiß, dass und wie lange er nunmehr zum Zwecke der Erholung Pause hat und frei über die Nutzung dieses Zeitraums verfügen kann (vgl. BAG 13. Oktober 2009 – 9 AZR 139/08 – Rn. 47, BAGE 132, 195; Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG 4. Aufl. § 4 Rn. 24; Kleinebrink DB 2015, 2023, 2025; MHdB ArbR/Reichold 6. Aufl. Bd. 1 § 40 Rn. 85a; Schliemann ArbZG 4. Aufl. § 4 Rn. 19; aA ErfK/Roloff 24. Aufl. ArbZG § 4 Rn. 4; HWK/Gäntgen 11. Aufl. § 4 ArbZG Rn. 4; mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen für „spontan“ gewährte Ruhepausen in BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 886/12 – Rn. 29, BAGE 151, 45). Dem steht nicht entgegen, dass nach der Gesetzesbegründung zu Beginn der täglichen Arbeitszeit zumindest ein bestimmter zeitlicher Rahmen feststehen muss, innerhalb dessen der Arbeitnehmer – ggf. in Absprache mit anderen Arbeitnehmern – seine Ruhepause in Anspruch nehmen kann (BT-Drs. 12/5888 S. 24). Dieser Rahmen wird weder im Gesetz – anders als in § 11 Abs. 2 Satz 1 JArbSchG (zutr. BeckOK ArbR/Kock Stand 1. Juni 2024 ArbZG § 4 Rn. 4) – noch in der Gesetzesbegründung näher zeitlich fixiert und kann durch die Rechtsprechung auch nicht willkürfrei näher konkretisiert werden. Für eine Konkretisierung besteht auch kein Bedürfnis, weil sich der Rahmen letztlich aus dem Erfordernis ergibt, innerhalb von sechs bzw. neun Stunden die Pausenzeit festzulegen (zutr. Schliemann ArbZG 4. Aufl. § 4 Rn. 19 f.). Die konkrete Ausübung der Pausenanordnung unterliegt nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB der Billigkeitskontrolle (zutr. ErfK/Roloff aaO). Des Weiteren besteht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Festlegung der Pausenzeiten. Bei der Anordnung von Ruhepausen wird zudem zu berücksichtigen sein, dass deren Zweck (insbesondere Erholung, Regeneration und Nahrungsaufnahme) in der Regel verlangt, die Pausen nicht direkt an den Anfang oder kurz vor das Ende der Arbeitszeit des Arbeitnehmers zu legen (vgl. MHdB ArbR/Koberski 5. Aufl. Bd. 2 § 183 Rn. 24). In diesem Rahmen kann der Arbeitgeber entsprechend den betrieblichen Interessen die Pausenzeiten festlegen, soweit nicht durch Betriebsvereinbarung anderes bestimmt ist.

………….

Die Ruhepause iSv. § 4 ArbZG ist arbeitszeitrechtlich Ruhezeit (vgl. ErfK/Roloff 24. Aufl. ArbZG § 4 Rn. 1; MHdB ArbR/Koberski 5. Aufl. Bd. 2 § 183 Rn. 17). Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeit-RL definiert den Begriff Arbeitszeit als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. In Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie wird der Begriff Ruhezeit negativ definiert als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union schließen beide Begriffe einander aus. Für die Zwecke der Anwendung der Arbeitszeit-RL ist eine Zeitspanne entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen, weil die Richtlinie keine Zwischenkategorie vorsieht (EuGH 11. November 2021 – C-214/20 – [Dublin City Council] Rn. 35 mwN). Unter den Begriff Arbeitszeit iSd. Arbeitszeit-RL fallen solche Zeitspannen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (EuGH 11. November 2021 – C-214/20 – [Dublin City Council] Rn. 38; 9. September 2021 – C-107/19 – [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 34 mwN, zu Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit). Erreichen die Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad und erlauben diese es dem Arbeitnehmer, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, liegt keine Arbeitszeit für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie vor (vgl. EuGH 11. November 2021 – C-214/20 – [Dublin City Council] Rn. 39; 9. März 2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 39; 9. März 2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 38). In unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitszeitgesetzes hat sich das Bundesarbeitsgericht dieser Rechtsprechung angeschlossen (BAG 23. August 2023 – 5 AZR 349/22 – Rn. 49; 27. Juli 2021 – 9 AZR 448/20 – Rn. 47; ebenso für die Arbeitszeit der Beamten das Bundesverwaltungsgericht, vgl. BVerwG 29. April 2021 – 2 C 18.20 – Rn. 29 ff., BVerwGE 172, 254; 13. Oktober 2022 – 2 C 7.21 – Rn. 21 ff., BVerwGE 176, 382; 13. Oktober 2022 – 2 C 24.21 – Rn. 18 ff.).

Hier finden Sie die gesamte Entscheidung:

Die Kommentare wurden geschlossen